FJM

VORSTUFEN UND ENTWICKLUNG

1886 BIS 1933

Die Anfänge unserer Schulgeschichte müssen in einem engen Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung ihrer späteren Patronatsgemeinden Weidenau und Klafeld-Geisweid gesehen werden. In den von der Industrialisierung des Siegerländer Kernraums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts profitierenden Mittelschichten ergab sich ein starkes Bedürfnis nach einer schulischen Einrichtung, in der ihre Kinder eine über die Volksschule hinausgehende Bildung erfahren konnten.

Dass die „Rektoratschule für die Gemeinde Weidenau“ am 3. Mai 1886 in der Kapellenschule am Friedrich-Flender-Platz ihren Lehrbetrieb mit 20 Knaben und drei Mädchen in der Eingangsklasse aufnehmen konnte, verdankte sie jedoch nicht einer Initiative von gewerblicher Seite.

Die Gründung der Schule reihte sich ein in eine ganze Anzahl kirchlicher und karitativer Einrichtungen, die im Weidenauer Raum auf Initiative des Pastors Hermann Reuter entstanden sind.

Der Lehrplan der Rektoratschule orientierte sich einerseits mit dem Angebot des Faches Latein an demjenigen des Realgymnasiums, auf dessen Obertertia die Schülerinnen und Schüler vorbereitet werden sollten. Andererseits wird schon zu Beginn eine Entwicklungstendenz sichtbar, die sich an die Realschule anlehnte, denn „auf besonderen Wunsch (konnten) auch Knaben vom Lateinischen dispensiert werden und gleich im ersten Jahr im Französischen einen Anfang machen“.

In den ersten Jahren ihres Bestehens erfuhr die Weidenauer Rektoratschule eine kontinuierliche Aufwärtsentwicklung, die durch eine bis 1891/92 auf etwas über 100 ansteigende Schülerzahl gekennzeichnet war. Der so notwendig gewordene Neubau an der Ecke Gartenstraße/Austraße wurde am 10. Juni 1890 festlich eingeweiht. In diesem Zusammenhang wurde der „evangelisch-christliche Charakter“ der Anstalt betont, die sich in ihren Jahresberichten nun als „Höhere Privatschule“ bezeichnete.

Dem unerwarteten Rückgang der Schülerzahlen in den folgenden Jahren begegnete das Kuratorium der Schule unter Leitung Hermann Reuters laut Jahresbericht vom März 1893 mit einer Veränderung des Curriculums. Danach sollte nunmehr für alle Klassen der Lehrplan der sechsklassigen lateinlosen Realschule in Anwendung kommen „mit dem Ziel der Vorbereitung für die Obersekunda der lateinlosen Oberrealschule“. Als weiteres Ziel wurde „die Erwerbung des Zeugnisses für den einjährig freiwilligen Militärdienst“ benannt.

Letzteres wurde ganz offensichtlich durch ein erneuertes Lehrerkollegium erreicht, dessen Mitglieder nun in ihrer Mehrzahl als Mittelschullehrer ausgebildet waren. Die Jahresberichte für die Schuljahre ab 1896/97 enthalten regelmäßig eine „Übersicht über Abiturienten“, die das „Einjährige“ vor dem entsprechenden Prüfungsausschuss in Münster abgelegt hatten. Die Siegener Zeitung vom 1. Oktober 1901 weiß zu berichten, dass bei der zum Herbsttermin dieses Jahres abgehaltenen Prüfung, „zu welcher sich 21 junge Leute (aus Westfalen) gestellt und bloß 5 durchkamen, von diesen Examinanden aus Weidenau 4 die Prüfung bestanden“. Zu dieser erfolgreichen Entwicklung hat sicher auch beigetragen, dass die Gemeinde Weidenau sich Ende 1896 entschlossen hatte, fortan die Kosten der Schule aus ihrem Kommunaletat zu bestreiten, was zu einer Stabilisierung der finanziellen Rahmenbedingungen der Rektoratschule erheblich beigetragen haben dürfte.

In die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts fallen eine Reihe wichtiger Weichenstellungen für die nach wie vor trotz öffentlicher Finanzierung private Bildungseinrichtung. So erging im Juni 1901 ein Antrag an die Königliche Regierung in Arnsberg, die Rektoratschule als öffentliche Einrichtung anzuerkennen. Ihm wurde jedoch erst im Herbst 1902 entsprochen, nachdem die Gemeinden Klafeld-Geisweid und Weidenau einen Zweckverband zur Unterhaltung der Schule gegründet hatten.

Schülerschaft und Kollegium vor dem Schulgebäude
Schülerschaft und Lehrerkollegium vor dem Schulgebäude Gartenstraße/Austraße
Pastor Hermann Reuter
Pastor Hermann Reuter

Inzwischen hatte am 1. Oktober 1901 mit Albert Bauer ein Rektor die Schulleitung übernommen, in dessen Amtszeit ein entscheidender Schritt für die Weiterentwicklung der Schule fiel. Auf seine Initiative hin stellte das Kuratorium den durch das Kultusministerium im Jahre 1908 genehmigten Antrag, die Rektoratschule der technischen Aufsicht des Direktors des Siegener Realgymnasiums zu unterstellen, um ihren Zeugnissen die ihnen fehlende öffentliche Anerkennung zu sichern. Nach diesem Vorbild wurden in den folgenden Jahren fast alle Rektoratschulen Preußens benachbarten höheren Schulen angeschlossen. In Weidenau fand die erste Abschlussprüfung unter dem Vorsitz des Direktors des Siegener Realgymnasiums, Dr. Gottschalk, am 22. März 1909 statt. Die öffentliche Anerkennung ihrer Zeugnisse verlieh der Schule neues Ansehen und ließ ihre Schülerzahl deutlich ansteigen.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung beschloss die „engere Amtsverwaltung“ (bestehend aus den aus Weidenau und Klafeld-Geisweid entsandten Amtsvertretern) am 4. Dezember 1908 den Neubau eines erweiterungsfähigen Schulgebäudes und eines Wohnhauses für den Rektor, die im Jahre 1910 fertiggestellt wurden. Parallel hierzu verstärkte sich in der Bevölkerung der Wunsch nach einer Realschule für den Weidenauer Raum, dem die Patronatsgemeinden und das Kuratorium im Jahre 1912 entsprachen, als sie mit dem Provinzialschulkollegium in Münster Verhandlungen über die Umwandlung der Rektoratschule in eine Realschule aufnahmen. Mit dem Erlass des Kultusministers vom 22. August 1913 wurde die Umbildung zum 1. April 1914 genehmigt und die vier Klassen Sexta bis Untertertia wurden der Aufsicht des Provinzialschulkollegiums in Münster unterstellt. Wenn auch die Rektoratschule, die stets der Aufsicht des Kreisschulinspektors unterstellt blieb, durchaus einen angemessenen Platz in der Geschichte des Fürst-Johann-Moritz-Gymnasiums beanspruchen kann, waren die bisherigen Schulchronisten doch gut beraten, wenn sie den 1. April 1914 als Geburtstag der höheren Schule in Weidenau festgelegt haben.

Rektor Albert Bauer, Schulleiter 1901 bis 1914
Rektor Albert Bauer, Schulleiter 1901 bis 1914
Professor Walter Hehr, Schulleiter 1914 bis 1937
Professor Walter Hehr, Schulleiter 1914 bis 1937

Aus dem Lehrerkollegium wurden neben Rektor Bauer drei weitere seminaristisch ausgebildete Lehrkräfte übernommen. Dem veränderten Charakter der Schule entsprach es, dass das Kollegium nunmehr gezielt durch akademisch ausgebildete und – erstmalig in der Schulgeschichte – durch promovierte Lehrkräfte ergänzt wurde. Die Leitung der Realschule übernahm Professor Walter Hehr, der bis dahin als Oberlehrer am Gymnasium Betzdorf tätig gewesen war und am 22. April 1914 zusammen mit den Lehrern Dr. Krischer und Dr. Rauch eingeführt wurde.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurden der Schulleiter und ein wesentlicher Teil der Lehrkräfte zum Kriegsdienst eingezogen und für den als Hauptmann dienenden Professor Hehr übernahm wiederum Rektor Bauer die Leitung der Schule bis zum Jahre 1918. Durch den Einsatz von Aushilfskräften gelang es ganz weitgehend, den Unterricht aufrecht zu erhalten. Die Schülerzahl stieg sogar von 181 im Schuljahr 1916/17 auf 235 zu Beginn des Schuljahres 1918/19 an.

Dieser ansteigenden Tendenz war bereits 1916 in räumlicher Hinsicht durch die Fertigstellung eines Erweiterungsbaues Rechnung getragen worden, der bereits erkennbar als zentraler Gebäudeteil einer sich entwickelnden Vollanstalt konzipiert war.

Ein entscheidender Schritt in der Weiterentwicklung der Schule war ihre Anerkennung als „Oberrealschule in Entwicklung“ durch das Provinzialschulkollegium im Februar 1919. Sie dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Schülerzahl weiter anstieg und im Schuljahr 1925/26 mit 410 Schülern zu einem ersten Höhepunkt gelangen sollte. Die Anerkennung als Oberrealschule war bereits im April 1922 erfolgt, nachdem am 21. und 22. Februar desselben Jahres die erste Reifeprüfung stattgefunden hatte. Damit war endlich das Ziel einer höheren Schule in Weidenau mit einer zum Hochschulstudium qualifizierenden Abschlussprüfung erreicht. Bald danach wurde Professor Hehr Ende 1924 seitens der Schulaufsichtsbehörde zusätzlich mit der schultechnischen Aufsicht über die Rektoratschule Kreuztal beauftragt.

Das 1910 bzw. 1916 erbaute Schulgebäude

Die dynamische Entwicklung der Schülerzahl brachte es mit sich, dass sich in dem 1916 erweiterten Schulgebäude höchst unbefriedigende räumliche Verhältnisse ergaben. So standen für die 1929 vorhandenen 15 Klassen nur neun Klassenzimmer zur Verfügung mit der Folge, dass etwa ein Drittel der Schüler abwechselnd in Übungsräumen oder in stundenweise nicht benutzten Klassenräumen unterrichtet wurden.

Das Fehlen einer schuleigenen Turnhalle bewirkte überdies, dass die Schulklassen einen zwanzigminütigen Weg zum Turnunterricht in der Bismarckhalle auf sich nehmen mussten. So war eine erhebliche Verbesserung der Unterrichtsorganisation zu erwarten, als die seitens des Kuratoriums der Schule initiierten Pläne für einen zweiten Erweiterungsbau und eine Turnhalle im August 1929 ministeriell genehmigt wurden.

Bereits am 30. Mai des folgenden Jahres konnten der neue Südflügel des Schulgebäudes und die gleichzeitig erbaute Turnhalle eingeweiht werden. Im Mittelpunkt der durch Darbietungen von Chor und Orchester umrahmten Feierstunde stand eine Ansprache Professor Hehrs, der die Entstehungsgeschichte der Oberrealschule ebenso beleuchtete wie den Stellenwert dieser Schulform im Bildungssystem der Weimarer Republik.

Die an die bauliche Erweiterung geknüpften Erwartungen bezüglich eines weiteren Ansteigens der Schülerzahl erfüllten sich indes nicht. Besuchten im Schuljahr 1931/32 noch 24 Schülerinnen und 305 Schüler die Schule, so fiel ihre Zahl nicht zuletzt als Folge der Weltwirtschaftskrise in den Folgejahren auf durchschnittlich 250 zurück, und die Schule verlor im Schuljahr 1933/34 bis auf Weiteres in allen Klassen die Zweizügigkeit. Entsprechend reduzierte sich auch die Zahl der mit einer vollen Stelle ausgestatteten Lehrkräfte,

Südflügel im Rohbau
Südflügel im Rohbau

weil die Stellen ausscheidender Lehrer nicht wiederbesetzt wurden. So befand sich die Weidenauer Oberrealschule am Ende der Weimarer Republik zweifellos an einem nicht zuletzt durch den Niedergang der Wirtschaft und der finanziellen Rahmenbedingungen bedingten Tiefpunkt ihrer äußeren Entwicklung. Auch in pädagogischer und politischer Hinsicht sollten sich die von vielen Zeitgenossen mit der Machtübernahme Hitlers verbundenen Erwartungen bald als trügerisch erweisen.

Turnhalle und Südflügel im Rohbau
Tunrhalle und Südflügel im Rohbau
Die ersten Mädchen am FJM: Quinta 1931
Die ersten Mädchen am FJM: Quinta 1931
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